Die Galerie Klinger zeigt in der Zeit vom 7. November 2020 bis 16. Januar 2021 die Ausstellung
Von Früh bis Spät
mit Malerei von:
- Karen Graf, Radebeul
Laudatio:
- Dr. Ingrid Koch, Dresden
Die geplante Midissage der Ausstellung am
Sonnabend, dem 28. November 2020, um 16:00 Uhr
fällt pandemiebedingt aus.
Der Besuch der Ausstellung ist unter Beachtung der
allgemein gültigen Hygieneregeln möglich. Die Anzahl
der Besucher im Ausstellungsraum ist beschränkt.
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Karen Graf – Von Früh bis Spät | Galerie Klinger 2021 von krautmovies.
„Von früh bis spät“ in Liegau – Karen Graf zeigt Bilder vom Fahren und Reisen in der Galerie Klinger
Auch jetzt öffnet die Galerie Klinger ihre Türen „Von früh bis spät“, wie das Ausstellungsmotto verheißt (Kommerzielle Galerien haben ja das Glück, in Coronazeiten in die Rubrik Handel eingeordnet zu sein). Den Ausstellungstitel ersann Karen Graf (Jg. 1963). Nach knapp zehn Jahren ist sie mit mehr als 20 Bildern wieder in Liegau-Augustusbad präsent. Im Winter 2010/2011 hatte Eberhard Klinger an neuem Ort – zuvor war er seit 1981in Görlitz, zwischen 1993 und 2010 in eigener Galerie, tätig – seine mittlerweile bei vielen Kunstfreunden in Dresden und darüber hinaus gut bekannten Räumlichkeiten mit Bildern der Künstlerin eröffnet.
Bekannt geworden ist Karen Graf mit Arbeiten, die im weitesten Sinn von ihren Alltagserfahrungen gespeist sind. Zu diesen gehört die Landschaft Radebeuls, wo sie wohnt, und dessen Umgebung. Weinberge, alte Weinpressen, Gärten und Villen wecken ihr Interesse ebenso wie ältere Industriebauten und weniger spektakuläre Wohnhäuser in stillen Straßen am Stadtrand. Ebenso reizen sie Interieurs, auch der heimische Balkon mit seinen Pflanzen, nicht weniger Szenerien aus dem Atelier oder auch aus „Nachbars“ Hof und Garten – beispielsweise mit wehender Wäsche. Alte Feldsteinmauern, blühender Rhododendron, auf der Wiese liegende Kornäpfel sowie von herbstlichem Laub gelb gefärbte Bäume regen ihre malerische Phantasie ebenso an wie eine Schneelandschaft. Äpfel und andere Früchte „wandern“ darüber hinaus auf Stillleben, die ein ganzes Schaffenskapitel bilden. Letzteres gilt zudem für Szenen, die auf der Erinnerung an die Kindheit der inzwischen erwachsenen Söhne beruhen und durchaus eine leise Melancholie ausstrahlen. Nicht zu vergessen sind zudem auf Reisen angesammelte Seherlebnisse.
In dieses breite Themenspektrum ordnen sich auch die Werke der aktuellen Schau „Von früh bis spät“ ein. Das Motto lässt sich unmittelbar auf die Bild gewordenen Eindrücke vom Geschehen auf dem Neustädter Bahnhof beziehen. Werke wie „Im Bahnhof Dresden-Neustadt“, „Warten auf die S-Bahn“, Abfahrt Dresden-Neustadt“ oder „Gleisabschnitt-D“ entstanden zwischen 2016 und 2020. Auffallend: die Malerin legt Wert auf die Betonung von Besonderheiten. Mit Aufmerksamkeit widmet sie sich etwa den aus der Zeit um 1900 stammenden, kunstvollen Treppengeländern oder auch den Fenstern, die die Bahnsteige von der Halle abgrenzen. Gleiches gilt für die Stahlkonstruktionen, die an jene des Eiffel-Turms oder – weniger spektakulär – des „Blauen Wunders“ erinnern. Gleichwohl wirken diese „technischen“ Bilder auf spezielle Weise die Seele erwärmend, liebevoll, wie es allen Arbeiten der Künstlerin eigen ist. Tempo, Stress und technisch codierte Kühle sind dagegen eher nicht spürbar. Von rötlichem Herbstlaub umrankt liegt so ein „Altes Bahnwärterhäuschen“ (2005) zwischen grauen Schienen. Anderswo hat der Schnee eine einhüllende, rosa schimmernde Decke über ein Gelände „An der Bahn“ (2010) gelegt. Eher still geben sich aber auch eine „Industrielandschaft“(2012) und ein „Fabrikgelände“ (2020). Hier interessieren die Malerin wohl vor allem die verschachtelten Gebäudestrukturen, deren Kuben sich auf interessante Weise anordnen, sowie sie verbindende, dicke Rohrleitungen.
„Von früh bis spät“ fahren aber nicht nur Züge oder arbeiten Betriebe, von früh bis spät läuft in „normalen“ Zeiten auch das Freizeit- und touristische Leben in Radebeul – sowie ganz weit weg. Auf schwer zu definierende Art erscheint etwa die Bildszene „Abends in Altkö.“ (2020) südlich entspannt. Menschen sitzen am mit Bäumen umstandenen Anger Altkötzschenbrodas um einen Tisch beim Wein. Das Stimmungsvolle der Atmosphäre dieses Abends überträgt sich unvermittelt auf den Betrachter. Überhaupt versteht es Karen Graf, Stimmungen nahe zu bringen – so auch von Orten im Süden, wohin sie manche Reise führte.
In Venedig ist das „Letzte Schiff“ (2018) abgereist. Unendliche Stille scheint über den alten Palästen und dem Wasser zu liegen. Eine Möwe an der Ufermauer und ein Hut, der verloren im Wasser schwimmt, geben dem Ganzen einen kleinen ironischen Touch, damit es nicht zu „romantisch“ rüberkommt. Auch „Abgeräumt“ (2019) mit seinem sichtlich erschöpften, auf einen Stuhl gefallenen Koch gehört in dieses Spektrum. Maltechnisch zeigen diese Reisebilder übrigens Parallelen zu jenen vom Neustädter Bahnhof, fängt die Künstlerin doch wie im Falle der stählernen Ornamente der Geländer und Stützen in Dresden beispielsweise in Malaga kunstvolle Schnitzereien von Veranden und Fensterladen ein.
Ob früh oder spät, hier oder dort – die Erinnerung spielt für Karen Graf eine ganz besondere Rolle. Die gemalten Szenerien sind kein Abbild, bewahren aber gleichwohl eine erkennbare Verbindung zur Wirklichkeit. Ihre Malerei setzt in Gedanken bewahrte, von Empfindungen geprägte Erinnerungsbilder um. Die zentrale Bedeutung solcher im Kopf und im Gefühl bewahrter Bilder mag in der Lebensgeschichte der Malerin begründet sein. Denn als in ihr in den 1990er Jahren das dringende Bedürfnis erwachte, wieder zu malen beziehungsweise ernsthaft künstlerisch tätig zu werden, waren die beiden Söhne noch klein und gaben ihr, wenn sie mit ihnen draußen war, keine Gelegenheit, irgendwo länger ruhig zu sitzen, um etwa zu skizzieren.
Karen Graf gehört zu jenen Menschen respektive Künstlern – das verbindet sie auch aufs Engste mit ihrem Kollegen und Ehemann Peter Graf -, für die die Kategorie „Achtsamkeit“ Lebensmaxime ist. Das drückt sich auch darin aus, dass ihr Blick sich auf das nicht Spektakuläre, aber umso Wesentlichere richtet: Harmonie. Die findet sie in der Familie, sucht sie aber ebenso in ihrer übrigen Lebensumwelt und in ihrer Kunst. Oft scheint es, als wolle sie mit ihrer Malerei die Zeit anhalten, einen für sie besonderen Moment fixieren – einen speziellen Ort, eine Tagesstimmung, einen Lichteinfall, eine jahreszeitliche Situation oder eben die Kindheit der Söhne.
Die charakteristische besinnliche Gestimmtheit der Bilder ist auch Resultat des ruhigen, konzentrierten malerischen Vortrags. Die Farbe wird relativ flächig aufgetragen, es sei denn ein blühender Baum oder, wie im aktuellen Fall, Stahlkonstruktionen, geschmiedete Treppengeländer und geschnitzte Gitter von Veranden führen zu eher zeichnerischem Vorgehen. Der farbliche Grundklang ist wie die Bildkonstellationen meist auf eher sanfte Kontraste beziehungsweise Abstufungen bedacht. Es dominieren gedämpfte, ein wenig rauchige, teils eher kühle Töne, darunter besonders viele Grün-, aber auch Blau-Nuancen vom Azur bis zum Türkis. Letzteres entführt den Betrachter etwa ans südliche Meer. Auch Grau und Weiß findet man häufiger, so bei imaginierten alten Pflasterungen südlicher Städte und deren Häusern. Oft strahlt auch weiße Bekleidung vor Azurblau. Rötliche Akzente sind von kräftig (am Bahnwärterhäuschen) bis zum zarten Rosa zu finden („An der Bahn“ im Winter), ebenso Beige- und Sandfarbenes. Welchen Farbklang die Künstlerin aber auch verwendet, er spiegelt das Atmosphärische des jeweiligen Ortes und der Jahreszeit, gleich ob Nord oder Süd, Sommer, Herbst oder Winter. In der Einheit von ruhigem Duktus und gezügelter Farbharmonie wirken Karen Grafs freie Interpretationen einer erinnerten Situation stimmungsvoll, aber nicht deplatziert romantisierend. Ihre Bilder sind Spiegel einer Persönlichkeit, die Wahrhaftigkeit ausstrahlt und in Harmonie mit der Natur und den Menschen leben möchte – von früh bis spät.
Bilder Karen Grafs hatten erstmals im Jahr 2000 ihren Auftritt in der Öffentlichkeit. Gemalt, wenn auch nicht kontinuierlich, hat sie allerdings schon wesentlich länger. Der Wunsch dazu bestimmte bereits ihre Jugendzeit. Besonders wichtig für ihren Weg war die Abendschule der Hochschule für Bildende Künste Dresden, die sie 1982 bis 1985 besuchte. Ihre Lehrer waren hier Agathe Böttcher und Fritz Panndorf. Neben dem Handwerklichen, das unabdingbar für künstlerisches Tun ist, nahm sie vor allem etwas von dem Geist der Unabhängigkeit mit, den sie bei Agathe Böttcher spürte und den diese nicht zuletzt an der Seite ihres früheren Mannes Jürgen Böttcher (Strawalde) – die Geschichte ist schon oft erzählt – im Freundeskreis um Winfried Dierske, Peter Graf, Peter Herrmann, Peter Makolies und dem erst 16jährigen Ralf Winkler (Penck) erlebt hatte.
Dieses Streben nach gelebter Unabhängigkeit wurde auch Fundament für Karen Graf, besonders nachdem sie in den späten 1980ern Peter Graf begegnet war. Abgesehen von allem anderen verbindet sie mit ihrem Mann und dessen Freunden gerade auch die unabhängige Haltung. Es ist also kein Zufall, dass die Künstlerin bis heute in den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden einem Broterwerb nachgeht, obwohl ihre Bilder mittlerweile viel Anklang finden, sie auf zahlreiche Ausstellungen und ebenso Ankäufe verweisen kann, die man ihr nun auch für die aktuelle Schau „Von früh bis spät“ in der Galerie Klinger wünscht.
Dr. Ingrid Koch